Havelpralinen-Cup: Zusammengewürfelt, und doch eingeschworen

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Havelpralinen-Cup: Zusammengewürfelt, und doch eingeschworen

Bei sengender Hitze erspielten sich die Hauptstadtlöwen einen respektablen sechsten Platz, landeten also in der oberen Tabellenhälfte. Wieso der Sechste eigentlich ein Fünfter war, wer im Turnierverlauf besonders glänzte und wieso die Kampfmannschaft aus dem Valentin wie ihr Pendant aus der 3. Liga mit fragwürdigen Schiedsrichterentscheidungen zu kämpfen hatte, lesen Sie im Folgenden.

Schöneberg. Wilmersdorf? Ganz egal, bei 30 Grad im Schatten fragst du nicht, in welchem Stadtteil der Kunstrasenplatz an der Blissestraße liegt. Wichtig ist: Die Löwen, die sind da, genauer gesagt die Hauptstadtlöwen, eine Art paramilitärischer, loser Verbund aus biersicheren Sechzig-Fans mit dem Anspruch, den Havelpralinencup nicht zu gewinnen, sondern zu dominieren. Bereits beim Warmmachen wird klar, dass das keineswegs vermessen ist: Die Flanken kommen scharf, wuchtig zwingen die Vollstrecker in der Mitte den gelernten Torwart Hechenbichler zu diversen Glanzparaden.

Sollte also gleich was drin sein bei der ersten Partie gegen die Neuköllner Sportkneipe Lenau Stuben. Und tatsächlich gehen die Löwen nach einem langen Ball von Innenverteidiger Armbruster – der heißt wirklich so – auf Kapitän und im gesamten Turnierverlauf einzige Spitze Eder, der überlegt flach ins Eck abschließt, mit 1:0 in Führung. Im Anschluss übt sich der Defensivriegel in Geschlossenheit, Löcher werden gestopft, wo es nur geht. Bis zur letzten Minute hält der knappe Vorsprung, ehe die sengende Hitze ihren Tribut fordert: Kuddelmuddel im eigenen Strafraum, ein Abstauber kullert an Hechenbichler vorbei ins Tor. Das Ergebnis: 1:1 und lange Gesichter beim gesamten Team, das sich halbherzig daran hochzuziehen versucht, wenigstens nicht verloren zu haben.

In der ersten von diversen ausgedehnten Pausen, die man neben dem Bluetooth-Box-Gehämmer der HSV-Vertretung zubringen muss, herrscht deshalb erstmals Tristesse. Der Löwenblues, nach gerade mal zwölf Turnierminuten. Und der nächste Gegner, die Roten Teufel, später Turnierletzter, macht momentan noch einen ganz fidelen Eindruck. Doch die Wahrheit liegt auf dem Platz, und dort triumphieren die Löwen gegen eine Mannschaft, die auch durch Substanzkonsum fußballerisch nicht an selbiger zulegen kann. Nach einer sagenhaft scharfen Ecke von Spielmacher Fritz trifft Kissner aus dem Getümmel, Eders Skrotum fälscht den Ball noch leicht ab. Anschließend das gewohnte Bild: Disziplinierte Arbeit gegen den Ball, die auch den technisch versiertesten Lauterer zur Verzweiflung bringt und ihm ein ums andere Mal obszöne Schimpftiraden entlockt. Nach quälend langen Minuten erlöst der Schlusspfiff die tapferen Recken, die nach diesem Sieg des Willens gelöster auf die kommenden Aufgaben blicken dürfen und sich, es ist noch immer Vormittag, am Kiosk stärken: Drei Bier, ob alkoholfrei oder nicht, 18,60 Euro!

In der nächsten Begegnung kommt es höchstwahrscheinlich zu einer klubfußballerischen Premiere: 1860 trifft auf die Bohemians Dublin, die 2000 zwar auch im UEFA Cup vertreten waren, allerdings gegen die eben erwähnten Lauterer ranmussten, während Sechzig den tschechischen Vertreter FK Drnovice nach Hin- und Rückspiel mit 1:0 deklassierte. Sachen gibt’s! Zurück in die Gegenwart, und die ist knüppelhart. Nachdem Fritz mehrere große Chancen vergibt und Hechenbichler den Winkel im Eins gegen Eins clever verkürzt, endet der Hitzeschlager 0:0. Weiter ungeschlagen, doch ein bitterer Nachgeschmack bleibt: Sechzig hätte nach Foul an Fritz ein Elfmeter zugestanden. Der Dauerbrenner aber bewies Sportsgeist und diskutierte nicht weiter mit vorgeblich arglosen Iren und dem sympathischen, aber falsch entscheidenden Schiedsrichter. Das sollte sich in der letzten Minute gegen den VfB Stuttgart auszahlen. Die Löwen werden in Spiel vier zunächst überrumpelt und liegen schnell 0:2 zurück. Wie das passieren konnte, besonders angesichts der bislang so sattelfesten Defensive um die erfahrenen Innenverteidiger Armbruster, Fröhlich und Höhenberger, war und ist nicht zu erklären. Hätte der vorige Gegner der Löwen in seiner Sprache nun zum sog. Hail Mary aufgerufen, ließen sich die offensiven Aktivitäten der Mannen vom Giesinger Berg im deutschen Fußballjargon mit Fug und Recht als wütende Angriffe bezeichnen – allesamt unter dem spielstandunabhängigen, zufriedenen Gewinnerlächeln von Trainer Christian Eulitz, der in seiner Stoik Max Merkel in nichts nachsteht. Erneut betreiben die Löwen, bei denen der ehemalige Eishackler Huber die rechte Seite besonders emsig bekuft, Chancenwucher, ehe Eder mit einem platzierten Spitzschuss ins linke untere Eck trifft. Auch danach hält Sechzig den Druck aufrecht. Nach einem Foul an Fritz, mutmaßlich schon im Strafraum, wird den Blauen in der wohl letzten Szene des Spiels ein indirekter Freistoß zugesprochen. Fritz legt den Ball quer auf Eder, der sich mit seinen unwiderstehlichen Finten zwar hin und wieder festdribbelt, nun aber das Foul und somit den langersehnten Strafstoß zieht. Alle Proteste der schwäbischen Spätzlebrigade laufen ins Leere, woraufhin Eder – Fritz fühlt sich nicht sicher – souverän verwandelt und mit seinem Doppelpack einen wichtigen Punkt fürs Tableau, besonders aber für die Moral sichert.

 

Das schadet vor dem letzten Gruppenspiel nicht, denn nun geht es gegen den HSV, der sich mit lautstarker Unterstützung und einer rabiaten Spielweise bislang nicht nur Freunde gemacht hat. Man frage nach bei den Bohemians aus Dublin, die sich nach der Begegnung mit den Nordlichtern auf die Seite des TSV schlagen: „Smash ´em, lads!”, geben sie Torhüter Hechenbichler mit auf den Weg und feuern gemeinsam mit dem einzigen anwesenden Löwenfan, Allesfahrer Kühbandner, während der zwölf Minuten lautstark an. Unter HSV-Sprechchören schieben sich die Rauten den Ball zu, doch wie Manni Breuckmann im Videospiel FIFA bereits wusste: „Sie haben die Ballkontrolle, der Gegner hat die Spielkontrolle” – Hamburgs Ballbesitzphasen sind bestenfalls brotlos. Dann der Überfall: Höhenberger tankt sich auf rechts durch, wird hart gefoult. „Frag’ ihn!”, schreit der aufgebrachte Hamburger den Schiedsrichter mit weit aufgerissenen Augen an, und behauptet allen Ernstes, das sei kein Freistoß gewesen. Eine archaische Szene. Sechzig bleibt, wie so oft im Turnier, besonnen. Der Freistoß ist freigegeben, kurzer Doppelpass zwischen Fritz und Huber, dann flankt Fritz weit auf Eder, genau in den kritischen Raum zwischen Torwärtin und Libero. Nach einer Runde des Klassikers Nimm’ du ihn, ich hab’ ihn sicher hält Eder die Rübe hin, der Ball trudelt ins leere Tor, das Stadion explodiert. Eine weitere gewaltige Eruption folgt, nachdem Sechzig in der letzten Minute einen Konter erfolgreich abschließt und großmäulige Hamburger endgültig zu Verlierern krönt. „Seht ihr, Hamburg, so wird das gemacht!”, schmäht Ein-Mann-Kurve Kühbandner die Fischköpfe und lässt sich den Sieg auf der Zunge zergehen.

Die Hauptstadtlöwen ziehen damit als denkbar knapper Gruppenzweiter hinter den Lenau Stuben ins Viertelfinale ein, auf das sie – von Schiebung zu sprechen, um der gefährlichsten Mannschaft des Turniers den Zahn zu ziehen, mutet keineswegs an wie eine Verschwörungstheorie – eine geschlagene Stunde in der Hitze warten dürfen. Das KO-Spiel gegen die gastgebenden Havelpralinen ist deshalb schnell erzählt: Der voluminöseste Spieler auf dem Platz tanzt Fritz aus wie Ronaldinho zu besten Tagen und erzielt aus der Distanz das 1:0, dem Sechzig im Anschluss hinterherläuft. Hirn und Fleisch sind nun zu träge, und nach dem 0:2 muss man sich mit dem Ausscheiden gegen routinierte, aber biedere Gastgeber arrangieren.

Das letzte große Drama folgt dann im Siebenmeterschießen im Platzierungsspiel gegen die Lenau-Stuben. Drei Schützen pro Mannschaft, zwei Torwärte, High Noon – so einfach und schön könnte es sein. Die eigentliche Hauptfigur steht aber neben dem Tor und scannt die zugehörige Linie mit Adleraugen. Ein Schiedsrichter, der es sehr genau nimmt. Schon im Turnierverlauf mit diversen Zeitstrafen aufgefallen, hat er sich nun vorgenommen, auch diesem Krimi seinen Stempel aufzudrücken.

Doch der Reihe nach: Höhenberger schiebt den Ball als erster Schütze halbhoch in die Mitte – zumindest gewagt bei kleinen Toren und einem Spaßturnier. Die Quittung folgt auf dem Fuß, der Elfer wird pariert. Anschließend treffen die Lenau-Stuben, Hechenbichler berührt den Ball aber. Dann wuchtet Armbruster den Ball entgegen seines Nachnamens katapultartig in den linken oberen Knick. Ein Schuss, der Gegner bricht und die eigene Moral in den Himmel wachsen lässt. So versteht es sich von selbst, dass die Stuben im Anschluss gegen den glänzend parierenden Hechenbichler scheitern. Fritz trifft unaufgeregt, weshalb die Lenau-Stuben mit dem letzten Strafstoß nun dasselbe tun müssen. Hechenbichler aber ist inzwischen größer als das Tor, in dem er steht, und der eingeschüchterte Schütze scheitert an der Ruhpoldinger Katze. Aus, Schluss, Jubel, Herzschlagfinale. Doch nicht mit den Argusaugen des Schiedsrichters – Ordnung muss sein. Und angeblich hat Hechenbichler gegen diese verstoßen und stand beim Schuss nicht mit beiden Füßen auf der Torlinie. Der Strafstoß wird unter Unmutsbekundungen wiederholt, der Schütze, mittlerweile ein Fall für die Geschlossene, bolzt den Ball in den Nachmittagshimmel wie Uli Hoeneß in Belgrad. Sechzig ist durch. Und hat auch im grenzenlosen Glück ein letztes Mal Pech: Platz fünf und sechs werden nicht mehr ausgeschossen, weshalb es am Ende bei Rang sechs bleibt. Eine Platzierung, auf die die diese zusammengewürfelte und nun eingeschworene Truppe mehr als Stolz sein kann.

Havelpralinen-Cup am 20.07.2024; Text: Maximilian Fritz; Bilder: Christian Eulitz und Robert Kühbandner

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